Nein, es liegt nicht am Elch!

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Gerne würde ich über Langeweile in Schweden berichte, zumindest was das „böse C-Wort“ angeht. Und es sieht ja gar nicht so schlecht aus. Auf den ersten Blick sogar exzellent. Verglichen mit dem, was gerade in Österreich passiert und bald in Deutschland zu erwarten ist, ist Schweden definitiv das Himmelreich auf Erden, der Gegenentwurf, für den es jahrzehntelang aus deutscher Perspektive zu Unrecht gehalten wurde.

Tja, wenn da nicht der zweite Blick wäre.

Aber der Reihe nach. Schwedens Fahrplan zur Abwicklung der C-Pandemie-Maßnahmen läuft wie angedacht. Die noch vorhandenen Einschränkungen sind marginal und der Sinn des Gesetzes, welches Stand jetzt im Januar auslaufen soll, ist es eher, im Falle steigender Inzidenzen Maßnahmen per Verordnung ergreifen zu können. Dafür besteht jedoch zurzeit kein Anlass zu Befürchtung.

Seitdem ein positivere PCR-Test nicht mehr automatisch als Krankheitsfall gilt, liegt die Anzahl der Neuerkrankungen auf einem konstant niedrigen Niveau. Seit Mitte August liegt der rollenden 7-Tageschnitt (die Daten werden nur dienstags bis freitags aktualisiert, müssen also umgerechnet werden) zwischen 560 und 1.140. Fälle. Nach deutscher Logik entspricht das bei etwa 10,4 Millionen Einwohnern einer auf 100.000- Einwohner bezogenen „7-Tages-Inzidenz" im Bereich von etwa 38 bis 77.

Ähnliches gilt für die Intensivfälle. In den letzten hundert Tagen gab es davon insgesamt 319. Mit 413 Fällen liegt die Anzahl der mit oder an Covid Gestorbenen im gleichen Zeitraum etwas höher. Das sind also etwa vier Tote am Tag. In Schweden sterben im Tagesdurchschnitt insgesamt etwa 250 Menschen.

Ob das nun an der Impfung liegt oder einfach nur an der anderen Methodik der Zahlenerhebung, soll hier dahingestellt bleiben. Eine neue Untersuchung der Universität Umeå legt nahe, dass die klinische Immunität nach der Impfung nur von sehr begrenzter Dauer ist. Dies wiederum ist natürlich kein Thema, weder in den Medien noch im Alltagsgespräch. „Schuld“ ist auf jeden Fall nicht relativ niedrigen Bevölkerungsdichte des gesamten Landes. 72,9 % der Einwohner leben in Gebieten mit mehr als 1.000 Einwohnern/km² (was in etwa für eine deutsche Großstadt zu erwarten wäre). In Deutschland sind es nur 38,0 %. Bei 3.000 Einwohnern/km² steht es sogar 23,5:8,1 für Schweden. Nein, es liegt nicht am Elch!

Wie auch immer, es ist absolut erfreulich, dass die Zahlen einigermaßen konstant sind und nicht der Grippe gemäß ab Ende Oktober steil nach oben gehen (wie im Vorjahr). Bleibt abzuwarten, wie sich die Lage im Januar entwickelt. Im Gegensatz zu den Influenza-Viren haben die Corona-Viren in unseren Breiten bekanntlich von Januar bis Mai „Hauptsaison“. Schaumama.

Diese Entwicklung könnte also dazu führen, dass die Epidemie Anfang 2020 auch formal-juristisch beendet werden könnte. Medial ist die Entwicklung tatsächlich angekommen. Inzwischen beherrschen andere Themen, wie die Entwicklung an der polnisch-weißrussischen Grenze und das Neueste vom aktuellen Bachelorette-TV-Ereignis, die Berichterstattung.

Ein Hindernis auf dem Wege in die Normalität ist die aktuelle Regierungskrise. Die von den Sozialdemokraten geführte Koalitions-Minderheitsregierung lässt momentan die Möglichkeit prüfen, den bisher nur bei Reisen notwendigen Impfpass als Werkzeug der Pandemiebekämpfung einzusetzen. Das würde praktisch bei wieder ansteigender Inzidenz 1G für größere Veranstaltungen oder gegebenfalls auch für die Gastronomie bedeuten. Besorgniserregend ist da eher der Standpunkt der alten bürgerlichen Oppositionsparteien. Alle drei sind klar für 1G-Regeln. Die Regierungsparteien sind bisher unentschlossen, wollen die Entwicklungen abwarten. Lediglich die Linken, welche die Regierung dulden, sind klar gegen den Impfpass als Voraussetzung zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sollte also die designierte Nachfolgerin des zurückgetretenen Löfven, Magdalena Andersson, im Parlament als Ministerpräsidentin scheitern, könnte es Neuwahlen geben und damit die Karten völlig neu gemischt werden.

Auch die Abstimmung über den Haushalt für das nächste Jahr könnte zum Problem werden. Die alten bürgerlichen Oppositionsparteien sind zusammen mit den Schwedendemokraten in der Mehrheit und möglicherweise bereit, einen eigenen Entwurf durchzubringen, was natürlich einer Regierungskrise gleichkommen würde.

Neuwahlen sind dennoch relativ unwahrscheinlich, weil im nächsten Jahr sowieso reguläre Wahlen stattfinden und eine „Zwischenwahl“ nicht die aktuelle Legislaturperiode abkürzen würde. Niemand will eine Wahl für ein Kurzeit-Parlament!

Dennoch, die Stimmung im Lande ist immer noch von Angst geprägt. 1G-Regeln würden kaum auf Widerstand stoßen, weil die meisten Schweden der Impfung eh kritiklos gegenüberstehen. In Stockholm gab es kürzlich eine Demonstration („Frihetsmarschen“) gegen den Impfpass. Etwa 1.000 Teilnehmer, 175 Klicks auf Youtube für das Video zur Demo. Schweden eben.

Wer sich nicht impfen lassen will, kommuniziert das besser nicht nach außen, um Druck im beruflichen, gesellschaftlichen, aber auch privaten Umfeld zu vermeiden. Beruflich könnte es für viele eng werden. Obwohl der Verband der Kommunen und Regionen (SRK) unabhängig vom Impfstatus der Pfleger und Mediziner die üblichen Schutzmaßnahmen empfiehlt, behalten sich viele Kommunen eine Impfpflicht für ihre Altenpfleger vor (trotz erheblichen Personalmangels). Ähnliche Diskussionen gibt es bei den Regionen hinsichtlich des medizinischen Personals.

Es wird also erst mal nicht „langweilig“. Leider. Aber vieles ist schon auf dem richtigen Weg, wenn es auch nur ein sehr brüchiges Eis ist, was Schweden vom „kontinentalen Wahnsinn“ trennt.

Hoffentlich hält es…

 

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